Unsichtbarer Stacheldraht

Stellt euch mal Stacheldraht vor, den man überhaupt nicht sehen kann – fies, oder? Ich hab seit vorletzter Woche sowas im Gesicht. Natürlich keinen richtigen Stacheldraht, mehr einen minikleinen Faden mit Widerhaken, der meine merkel-mäßig hängenden Wangen nach oben ziehen sollte. Schade nur, dass er das nicht tut.

Tja, ich hab mich endlich getraut. Bin ich böse drum? Jein.

Ich hatte furchtbare Angst davor und habe trotzdem die Schmerzen noch stark unterschätzt. Wahrscheinlich hatte ich einfach Pech, aber der Doktor kann eben nicht überall sehen wo ein Nerv hergeht. Und wenn die lokale Betäubung nicht komplett wirkt und man dir so einen Faden durch n Gesichtsnerv zieht, nun, Vergnügungssteuer muss man da nicht drauf zahlen.

Ich endete als schluchzendes Häufchen Elend. Zum Glück war die ganze Nummer schnell vorbei und ich konnte aufstehen und versuchen, meinen letzten Rest Selbstachtung zusammenzukratzen.

Nachdem ich dann meine 2.000 Euro bezahlt hatte, kam mich der Narzisst abholen. I know, schwere Überforderung auf so vielen Ebenen bei mir, aber dazu später mehr.

Er hat tatsächlich ein Auto gemietet und mich abgeholt, nach Hause gefahren und mir Tee gekocht.

Dann fuhr er wieder, er musste ja arbeiten. Da saß ich nun, auf meiner Couch, ziemlich unter Schock und mit einem Hautgefühl wie ein übervoller Wasserballon im Gesicht. Ängstlich, irgendeine Bewegung zu machen, weil sich dann der Draht bewegt.

Am Anfang sah es so aus, als sei nur auf der linken Seite die hängende Wange richtig weg – aber rechts hatte es auch so sehr weh getan. Es schien mir naheliegend, dass das Gesicht da stärker angeschwollen war und sich das alles geben würde.

Schlimm angeschwollen ist es bei mir nicht, da scheint es krassere Nummern zu geben. Aber der eine oder andere blaue Fleck kam noch und überhaupt, war das Gesicht ziemlich empfindlich.

Ihr müsst euch das so vorstellen, da hat jemand acht Fäden von diesem Mini-Stacheldraht durch mein Gesicht gespannt und festgezurrt. Genauso fühlt sich das auch an. Ich schlafe immer noch nur verkrampft auf dem Rücken und saß am Anfang nur rum und aß ein wenig Suppe und Joghurt. Mund aufmachen – und ich konnte fühlen, wie sich der Faden in meinem Gesicht bewegt. Ziemlich irre Nummer, mit einem kleinen Schuss von: Bäh!

Drei Tage später ging es wieder zum Arzt mit der Diagnose, alles soweit gut gelaufen. Dass er wohl einen Nerv „angekratzt“ habe, sagte der Arzt auch frei raus. Es könnte noch vier Wochen dauern, bis ich das Endergebnis sehe.

Das Ding ist, angeblich bildet die Haut jetzt zusätzliches Collagen. Das ist also gut, wenn Leute das in erster Linie wegen Falten machen. Aber der rein mechanische Effekt, der des Hochziehens meines Gesichts, der scheint mir jetzt schon passiert zu sein. Nur halt nicht so, dass man ihn sehen könnte.

Was ich am Anfang für einen guten Effekt auf der einen Seite hielt, stellte sich als Finte heraus: Der Arzt hatte die Stellen mit transparentem Pflaster eng hochgeklebt, damit nichts verrutscht.

Und seitdem das Pflaster ab ist, sehe ich aus wie immer: Nicht meine Mutter, nicht meine Freunde, ich auch nicht – niemand sieht einen Unterschied. Mal hin und wieder sagt jemand, ah ja jetzt, ein wenig – allerdings gibt sich das ganz schnell wieder, sobald ich den Kopf bewege. Es kommt auf die Perspektive an und wenn man ganz nüchtern von vorne vergleicht: Es gibt keinen Unterschied. Gar keinen.

Erst gestern habe ich wieder mit einem Freund darüber diskutiert und mich trifft immer wieder der gleiche Vorwurf. Was bei mir nicht stimme, sagt er, sei in meinem Kopf, nicht außen davor. Chirurgie werde da gar nichts lösen.

Ich bin davon eben nicht überzeugt, aber wie kann ich das beweisen, wenn die Chirurgie nicht mal einen winzigen Unterschied zu vorher hervorbringt?

Gerade versuche ich nicht durchzudrehen, weil es nichts gebracht hat. Vor allem nicht durchzudrehen, weil das die Frage aufwirft, ob das Problem überhaupt zu beheben ist. Und ich spreche von dem physischen Problem. Braucht es dafür ein richtiges Facelift? Bin ich dafür – wie der Arzt sagte – zu jung und es wird kein vernünftiger Arzt machen?

Nun, dann wird es ein minder vernünftiger Arzt machen. Denn ich bin entschlossen: Das Problem wird jetzt beseitigt, egal was es kostet.

Meine Freunde meinen, das müsste jetzt ein Grund sein, nichts mehr machen zu lassen. Diese Logik kann ich jedoch nicht ganz nachvollziehen. Würde ich mich jetzt noch hässlicher fühlen als vorher – vielleicht. Aber es gibt einfach keinen Unterschied.

Der Arzt hat mir aufgrund meines Alters zu einer minimal invasiven Geschichte geraten. Ist auch ok, mir nicht direkt den Holzhammer verkaufen zu wollen.

Nur hat der minimale Einschnitt leider weniger als minimalen Erfolg gehabt. Schade, dass ich da jahrelang dran rum überlegt habe. Schade, dass es 2.000 Euro gekostet hat und sehr, sehr weh tat.

So richtig schade ist, dass es damit nicht getan ist. Wahrscheinlich wird der Arzt jetzt noch diverse „Kleinigkeiten“ empfehlen, mit denen ich einen Tausender nach dem anderen dalasse. Ein richtiges Facelift wird er nicht machen wollen. Weiß der Geier, warum das nicht als ethisch korrekt empfunden wird. Aber mein Problem ist nicht weniger ein valides Problem als das einer 50-Jährigen, die ihre Falten nicht schön findet.

Insofern sehe ich es nicht ein, jetzt noch zehn oder fünfzehn Jahre warten zu müssen, bis mir jemand hilft, in den Spiegel schauen zu können.

Vielleicht mach ich mich auch umsonst verrückt und der Arzt bietet mir an, ein Facelift zu machen. Dann könnt ihr euch hier an dieser Stelle bald anhören, wie vieeeeel Schiss ich davor habe. Ich glaube aber schon, dass ich mittlerweile dafür bereit bin.

Wie sagt man so schön? Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem ersten Stacheldraht

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