Zurück im Zwiespalt

Spulen wir den Abschied vor: Ich bin zuhause angekommen. Aber nicht nur da, sondern auch im Zwiespalt bin ich angekommen. Wieso? Weil ich das Denken nicht unterlassen kann.

Zunächst einmal ist alles gut, sogar mehr als gut. Der Mann und ich texten jeden Tag, telefonieren alle paar Tage und ja, er hat einen Flug gebucht. Einen Monat lang kommt er mich im Sommer besuchen. 

Er habe sich da wohl ein paar Gefühle eingefangen, sagt er. Nun, ich auch.

Seine Freunde sagen ihm schon ins Gesicht, er sei in Love. Nein, das sei er nicht, sagt er. Er würde sagen, er ist “smitten”, also sagen wir mal vernarrt in mich. Damit kann ich leben. 

Das L-Wort wäre nach drei Wochen gemeinsamer Zeit vielleicht ein bisschen übertrieben, auch wenn es sich für mich durchaus teilweise schon so angefühlt hat. Also alles gut, oder? 

Ja, nein. Jein. Denn was macht man denn, wenn man die Person, in die man vernarrt ist, erst in fast drei Monaten sieht? Also bis dahin? Gehen wir beide zurück zu den Apps, auf Dates, schlafen vielleicht mit anderen Leuten? 

Mit dieser Frage bin ich in der ersten Zeit nach meiner Rückkehr – ja, man könnte schon fast sagen, schwanger gegangen. Hin und her überlegt, zerdacht, rumgewälzt, viel geraucht. 

Bis ich mir dann ein Herz fasste und ihn darauf angesprochen habe. Klare Kommunikation und so. Naja, fast klar jedenfalls.

Das Gespräch, was dann folgte, war irgendwie besser als gedacht. Nein, wir sind ja jetzt nicht zusammen, sagt er. Und er würde mich bei dieser Entfernung keine Restriktionen auferlegen wollen, ich hätte ja schließlich auch Bedürfnisse. Das wäre nicht fair.

Hört sich für mich eher so an, als würde er da über seine eigenen Bedürfnisse reden, aber gut. Sprich weiter.

Was auch immer ich jetzt tun würde in der Zwischenzeit, er würde noch genauso viel von mir halten, wenn er hierhin kommt. Und zwar sehr viel. 

Mmhh. Ja.

Er sei nicht so der eifersüchtige Typ, aber am liebsten würde er es dann auch nicht wissen wollen.

Diese Aussage lässt mich denkend zurück, weil warum will man es nicht wissen, wenn man eh nicht eifersüchtig ist.

Was da bei mir ankommt, sage ich, du magst mich dann wohl doch nicht so sehr, wenn es dir wurscht ist mit andern Männern.

Nein, das ist überhaupt nicht so, sagt er. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. 

Ein bisschen Eifersucht wäre mir ganz lieb.

Naja, wenn er jetzt hier wäre, dann wäre das was anderes. Dann hätte er da schon was gegen, wenn ich ihm sagen würde, versteck dich mal im Abstellraum, der Dingens kommt vorbei. Oder wenn ich ihm jetzt sagen würde, ich hätte gestern wahnsinnig tollen Sex gehabt.

Aha. Ok, also nur bedingt nicht eifersüchtig. Ich glaube allerdings, ich kann nicht einfach so Augen zu und durch, ich würde es wissen wollen.

Ja das könnten wir auch machen, aber wird da nicht der eine oder der andere hinterher verärgert sein? In jedem Fall müsste das dann in beide Richtungen gehen.

Ich fürchte, ich bin damit gemeint. Mit dem verärgert. 

Was ich denn wollen würde? 

Mmh, ja also verärgert weiß ich jetzt nicht aber könnte schon sein, dass das meine Gefühle dann verändert.

Also ich habe das Gefühl, sagt er, du möchtest eigentlich Zölibat? Ist es das? 

Ja also ich könnte das schon. Aber dann bin ich ja die, die die Restriktionen auferlegt und du hast gesagt, das findest du nicht fair? 

Er zählt auf seinem Kalender die Wochen, bis er hier ist. Das würde er schon hinkriegen, sagt er.

Ja toll. Also schon schön, dass er es anbietet, aber jetzt fühl ich mich wie der Arsch, weil ich ihm Restriktionen auferlegen will. Nach drei Wochen, mit 16.000 km Entfernung. Klingt irre, wenn man es so sagt. Aber Gefühle machen halt auch, was sie wollen. 

Wir vertagen eine endgültige Einigung, ich sage ich mache mir nochmal Gedanken. 

Und jetzt sitze ich seitdem hier, tief im Zwiespalt und warte noch darauf, dass mir mal jemand ein Seil zuwirft. Laaaange, wirklich lange, habe ich darüber nachgedacht zu sagen, ok, dann keine Restriktionen, aber ich würde es gerne wissen. Dann müsste ich immerhin nicht ständig darüber nachdenken, ob er mich gerade anlügt. 

Was hast du gestern so gemacht? Och, nix.

Auch nicht schön. Dass ich ihm grundsätzlich glauben muss, dass er sich an welche Absprache auch immer hält, sei dahingestellt. 

Das Ding ist nur, ich weiß nicht, ob das nicht nur ein bisschen was an meinen Gefühlen ändern würde, sondern sie eher ganz kaputt machen. Das heißt, in dem Fall, dass er mit jemandem was hat, es mir erzählt, was dann? Ich mache das Gleiche vielleicht, ja aber dann? 

Dann kommt er hierhin und der Zauber ist hinüber, ich bin maulig und unleidlich. Oder ich sage von vornherein ab. Kann er seinen Freund in einer anderen deutschen Stadt besuchen oder zuhause bleiben. Aus und Ende. Nicht wahnsinnig fair, ihm dann vorher zu sagen: Mach, watte wilst. 

Und wenn ich ihm sage ich will Zölibat, dann habe ich Angst, dass es mich hinterher in den Arsch beißt. Seine Single-Phase war jetzt (wenn man bis zum potentiellen Zölibat dann zählt) nur ein paar Monate lang. Nach vorher 23 Jahren Beziehung. Und dann stelle ich mich hin und tue das, was er als nicht “fair” empfindet. 

Dazu kommt noch die wichtige Frage, ob er nun gesagt hat, wir würden uns nachher nur anlügen, wenn wir vereinbaren nicht drüber zu reden (im Sinne von was hast du gemacht? Nix) oder ob er gesagt hat, wir würden uns nur anlügen, wenn wir Restriktionen vereinbaren. 

Dann hat das nämlich alles so gar keinen Sinn.

Gehen wir mal vom ersteren aus, jedenfalls sagt er das. 

Wenn ich ihm allerdings ehrlich sage, dass es für mich wahrscheinlich das Ende ist, wenn er mit jemandem schläft – tja, dann bleibt ihm wohl nur lügen, oder? 

Also wenn ich keine Restriktionen vereinbare, komme ich mir unehrlich vor – denn dann kann ich ja nur sagen, dass es mich wahrscheinlich schon verletzt und dass ich gucken müsse, wie gut ich damit umgehen kann. Das stimmt auch. 

Andere Leute, sagen meine Freunde, würde das alles gar nicht so tangieren. Erstmal abwarten, bis er kommt. Normal weitermachen, Daten, etc. So bin ich leider nicht gepolt. Emotional ist das ein ganz oder gar nicht, egal, ob er hier ist, oder nicht.

Vielleicht könnte ich auch besser damit umgehen, als ich denke? Denn, was macht es am Ende schon? Er kommt hierhin und das nicht nur fürs Sightseeing.

Über die Zeit bis dahin hätte er jetzt nicht so nachgedacht, sagt er. Stattdessen hätte er sich den Kopf darüber zerbrochen, ob wir hier nur Spaß haben oder ob da was draus werden könnte. Also könnte er mir zumuten, alles hinter mir zu lassen und zu ihm zu ziehen? 

Das wird am Ende die Frage sein, sagt er.

Jetzt bin ich wieder platt. DARÜBER machst du dir Gedanken? 

Ich würde es erwägen, sage ich.

That makes me smile, sagt er.

Und ich kann durchs Telefon hören, dass das stimmt. Auch von hier aus, tief unten in meiner selbst gegrabenen Grube des Zwiespalts.

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