Aktivierungsenergie, die:

Genügend Anlässe für einen ordentlichen Schlussstrich hätte es gegeben. Immer und immer wieder. Aber was tat ich? Nichts. Erstmal Urlaub machen.

Mir fehlte die Aktivierungsenergie [Die Aktivierungsenergie ist die Energie, die erforderlich ist, um ein Teilchen auf einem bestimmten Energieniveau in ein höheres Energieniveau zu überführen, in dem das Teilchen eine zuvor nicht gegebene „Aktivität“ erhält.]

 So nannte das einer meiner Mitreisenden im Urlaub und ich denke es ist der perfekte Ausdruck – kudos dafür.

Urlaub also, das tat gut, ich fühlte mich wieder wie mein altes Ich. Der Mann, er hatte vor dem Urlaub nicht so wirklich Zeit bzw. kam er von einem Arbeitstrip wieder und fühlte sich krank.

Den Arbeitstrip fand ich zu diesem Zeitpunkt von vornherein unnötig, da der Job da schon verloren war – aber er wollte, so sagte er, aus Networking-Gründen zur Firmenzentrale fahren. Ok, dachte ich, ich mein, mit diesen Leuten würde ich jetzt nicht netzwerken wollen, aber you do you – in der Zeit könntest du auch Zeit mit mir verbringen.

Aber da lag ja von Anfang an der Hase im Pfeffer, nicht? Urlaub, Musicals, Sommerwochenenden? Es ging doch immer darum, dass ich mich ungewollt fühlte und versuchte, ihm das begreiflich zu machen.

Meine Nase, an dieser Stelle muss sie angefasst werden, denn ich bin halt ein Sensibelchen. Ich fühle mich schnell ungewollt. Hier habe ich an anderer Stelle über Bindungstypen gefaselt und das ist halt mein Typ – ängstlich.

Ich habe also über die letzten Monate immer und immer wieder überlegt: Liegt es alles an mir, will ich zu viel, zu schnell, drücke ich mich schlecht aus?

Und die Antwort ist: Jaein – teilweise.

„Wenn irgendwo schlechtes Gewissen rumliegt, wird irgendeine Frau es schon aufheben.“

Ganz bestimmt hab ich nicht alles richtig gemacht. Ich hab überreagiert in mancher Situation. Das ist wahr. Das Ding ist halt, um ein Gespräch darüber zu führen, was ich falsch gemacht habe und was ich (und er) da ändern könnten, müsste man erstmal ein Gespräch führen.

Und ich bin ängstlich, ich weiß es aber und versuche immerhin, das zu reflektieren. Bei ihm seh ich das nicht so.

Ich hab versucht, Geduld zu haben und ich war fast mehr Wochen lang ein am Boden zerquetschtes Häufchen Elend als eine frisch verliebte Frau. Das sagt halt viel.

Wir waren beim Thema Urlaub mal wieder. Der ist in diesem Kontext nur insofern wichtig, als dass es mir endlich mal wieder gut ging. Richtig gut. Und ich mich entfernt daran erinnerte, dass „Gutgehen“ eine verfügbare Option ist.

Watt war ich da also vorher inne Heimat am machen dran? Um es in meiner Muttersprache zu sagen.

Ich war mit einer Reisegruppe im Urlaub und es war echt lustig und, naja, ich hab selten an den Mann daheim gedacht.

Es gab den Moment, da sprach jemand von seiner Freundin zuhause – und eine andere Person fragte entsetzt, warum denn die besagte Freundin nicht auch mit dabei sei? Da fiel mir kurzzeitig ein, dass ich da zuhause ja diese Diskussion hatte…

Dann hatte ich allerdings nicht das Bedürfnis, mich zu melden. Am Ende hätte ich schließlich gern einen Partner, mit dem ich das machen kann, aber BRAUCHEN tu ihn halt nicht dafür.

Ich ertappte mich dabei, wie ich über Situationen erzähle, in denen er vorkam und vom „Ex“ sprach und mich sofortly schuldig fühlte.

Aber habe ich noch eine Beziehung mit jemandem, der vor meinem dreiwöchigen Urlaub keinen Besuch einplant und mich nicht anruft? Nachdem er mich vorher Wochen, naja eher monatelang ignoriert hat?

Habe ich keine Beziehung, wenn man nicht wirklich Schluss gemacht hat und irgendwie noch einen Versuch in Aussicht gestellt hat?

Sowohl als auch. Schrödingers Beziehung, revisited.

Bemühung, die

Ich kam also wieder. Freitagvormittag nach über 24 Stunden Rückreise.

Mein Reiserucksack, der lag am Flughafen auf dem Gepäckband.

Meine Sehnsucht nach dem Mann, nun, die scheint schon auf der Hinreise in Deutschland geblieben zu sein.

Eigentlich war meine Rede schon vor Wochen: Hör zu, hier ist jetzt viel kaputt gegangen, wenn wir das wieder hinkriegen wollen, bräuchte es für mich ein bisschen mehr sogenannte Qualitätszeit und ein paar Zeichen der Bemühung deinerseits (Bemühung im Sinne von sich mal Zeit freischaufeln für mich und mal paar Tage vorher was planen).

Zurück in Berlin: Minusgrade, es liegt ein bisschen Schnee, ich begrüße meine Dusche, meine Couch und mein Bett und ich frage mich – was jetzt? Ich schreibe ihm, dass ich wieder da bin.

Er meldet sich, willkommen zurück usw. er würde später anrufen. Nachmittags fragt er dann am Telefon, ob er mich auf einen Cocktail zu sich in den Kiez einladen könne?

Nope, nope, es wird nicht mehr nopier. Ich bin so erledigt, auf gar keinen Fall.

Samstag bin ich abends mit einer Freundin verabredet, er muss zu seinen Eltern, sagt er. Dann Sonntag? Ja, Sonntag, sage ich.

Erst als ich aufgelegt habe frage ich mich, einladen gut und schön, aber irgendwas läuft hier falsch?

Hätte er nicht hierhin kommen können, für ein bisschen Kuscheln auf der Couch?

Aber, noch besser – hätte er nicht vorher fragen können, wann ich genau zurückkomme und wann wir uns dann am Wochenende sehen können?

Sonntag zeigt sich dann, was Phase ist: Tagsüber gab es bei ihm noch Familienbesuch in Brandenburg, deswegen sollte ich doch bitte zu ihm kommen abends. Er sei ja das ganze Wochenende nicht zuhause gewesen, sagt er. Sein Auto sei in der Werkstatt und das Fahrrad (nimmt er normalerweise) das sei bei diesem Mistwetter doch echt gefährlich.

Von wegen:

And I would walk 500 miles
And I would roll 500 more
Just to be the man who rolled a thousand miles
To fall down at your door”

Eher: Ja ich hab dich behandelt wie Dreck, aber hey, es ist Schneeregen, da kann ich net 7 Min. Fahrrad fahren, dann 21 Minuten S-Bahn und 3 Min. U-Bahn fahren, um dann noch 5 Minuten Fahrrad zu fahren zu dir.

Normalerweise fahre ich eine Stunde mit der Bahn zu ihm, aber die Strecke ist grad unterbrochen – außerdem muss ich am Montag arbeiten, im Gegensatz zu ihm. Ich will nicht darauf rumreiten, dass er grad nicht arbeitet, aber so praktisch gesehen haben wir einfach mehr Zeit und Ruhe, wenn er hierhin kommt? Dann muss ich hier erst um 10 Uhr den Rechner hochfahren?

Besides, wo bleibt denn diese Bemühung? Google is your friend, my friend.

Bemühung. Reime: -yːʊŋ Bedeutungen: [1] zumeist im Plural: Mühen und Anstrengungen, die auf sich genommen werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Das Ziel sollte sein, dass ich ihm nicht den Laufpass gebe, trotz der mannigfaltigen Gründe, die er mir dafür bereits gegeben hat.

Mühen und Anstrengungen? Die soll aber nur wieder ich auf mich nehmen, was?

Ne, mach ich net mehr, sorry. Vor ein paar Monaten wäre ich auch bei -2 Grad in einen Schienenersatzverkehr gestiegen und das heißt viel.

Dass ich das jetzt nicht mehr tue, das hat er sich zuzuschreiben. Für Anstrengungen meinerseits muss der Herr erstmal die eine oder andere Runde im Schienenersatzverkehr aus der Hölle drehen (stelle mir an diesem Punkt ein brennendes Kirmes-Karussell vor, in dem nonstop Helen Fischer läuft).

Das Ende vom Lied? Keiner von uns beiden verlässt noch das Haus. Ok, war anscheinend uns beiden nicht mehr so wichtig.

Ob ich nicht nach meinem Buchclub am Mittwoch zu ihm kommen wollte, fragt er mich Mittwochmittag. Ich solle mal schauen.

Ich, irritiert, Buchclub – das ist nur in seltenen Einzelfällen früh (vielleicht um 22 Uhr) zu Ende, meist sitze ich da viel länger. Und danach soll ich an einem Wochentag noch ne Stunde zu ihm gurken?

Na er dachte, vielleicht sei ich ja bei ihm in der Ecke? Nein, ich bin da, wo das immer ist – in meinem Kiez.

Am Sonntag drauf komme ich gegen halb sechs nach Hause von einem langen Spaziergang mit Freunden.

Wundere mich ein bisschen, dass der Mann sich zwar ab und an gemeldet hat, Freitag hatten wir auch telefoniert, aber nicht mehr gefragt hat nach einem Date.

Just in diesem Moment, gegen 18 Uhr, blitzt das Handy: Ob ich nicht gleich noch zu ihm kommen wolle?

Das nennt man wohl Déjà-Vu? Dieses Mal nur mit weniger Vorlauf.

Nein, sage ich erst. Und er sagt: Schade. Ja schade, antworte ich. Er schickt ein Kuss-Emoji.

Jetzt gehe ich, so würde Twitter sagen, so richtig Affenscheiße.

Ob er irgendwas von dem verstanden hat, was ich ihm mal gesagt hatte? Fast einen Monat ist sein Geburtstag her, davor haben wir uns das letzte Mal gesehen, auf meinem Regal verschimmeln seine Geschenke. Na wenigstens hatte ich den Kuchen nicht gebacken, denke ich. Ich schicke ihm ein Foto von seinen Geschenken.

Das hat er blöd gefunden, sagt er mir später. Ja, gebe ich zu – war blöd.

Was ich statt dieser passiv-aggressiven Nummer hätte machen sollen? Das als Aktivierungsenergie nutzen.

Ich hatte irgendwie gehofft, dass sich die Aktivierungsenergie als groß, gutaussehend, clever und witzig erweist. Aber das war wohl – zugegebenermaßen – naiv.

Alles muss man selber machen. Wo bleibt sie jetzt, die Energie?

Energie kommt nicht aus dem Nichts, man muss schon irgendwas in irgendwas anderes umwandeln.

Viel Ärger war an dieser Stelle dann nicht mehr nötig für die Aktivierung.

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