Hamsterrrad aus Angst & Vermeidung
Zwei theoretisch intelligente Erwachsene, gefangen im Hamsterrad des Schreckens. Und keiner kann aussteigen? Wieso? Gefühle? Ja – und unterschiedliche Bindungstypen: Angst und Vermeidung.
Wir laufen, wir laufen und laufen – und jedes Mal, wenn ich denke, ich habe ihn eingeholt, rennt er schneller. Und ich? Ich sollte mich zurücklehnen und abwarten, aber was tue ich? Das Gegenteil.
Weil meine Bindungsmuster auf Hochtouren laufen und mir das Leben zur Hölle machen.
Woher ich das habe? Nun, meine Therapeutin ließ nach einem Schnelldurchlauf durch meine letzten Monate diesen Satz fallen: Das werden Sie nicht ändern, das sind ganz unterschiedliche Bindungstypen.
Da fiel mir endlich mal eine Erkenntnis auf den Kopf. Bindungstypen, das kenne ich doch. Ich weiß eh, dass ich der ängstliche Typ bin. Und er ist vermeidend.
Ich kramte also dieses Buch hier hervor und plötzlich war da Verständnis, wo vorher nur Chaos war.
Das Buch „Attached“ von Amir Levine und Rachel S. F. Heller (auf Deutsch hat es den furchtbaren Titel: Warum wir uns immer in den Falschen verlieben: Beziehungstypen und ihre Bedeutung für unsere Partnerschaft).
Tatsächlich sind die meisten Menschen ein „sicherer“ Bindungstyp, sie können sich auf stabile, normale Partnerschaften einlassen. Normal muss jeder selbst definieren, ihr wisst schon, was ich meine – keine toxischen Auswüchse.
Was sind die anderen Menschen? Die anderen sind wie der Mann und ich.
Ich bin der ängstliche Typ, er der vermeidende. Und das ist sozusagen die schlimmste Kombination, wo gibt. Wieso? Das bedeutet zwangsläufig eine Form von Katz- und Maus-Spiel, bei dem der eine (ich) immer mehr braucht, als der andere geben kann.
Zeichen für einen vermeidenden Bindungstyp, laut „Attached“:
- Gutes Selbstbewusstsein
- Sendet gegensätzliche Signale
- Ignoriert deine emotionalen Bedürfnisse und wenn er damit konfrontiert wird, macht er es trotzdem weiterhin
- Wirft dir vor, zu needy zu sein, zu übertreiben, zu sensibel zu sein
- Ignoriert Dinge oder Nachrichten, die ihm nicht gefallen
- Er/Sie sagt manchmal das Richtige, aber die Taten sprechen eine andere Sprache
- Deine Kommunikation geht ins Leere – bitte, können wir nicht dies, das – Kompromisse? Jaja, und dann passiert nichts. Die Message scheint nie anzukommen.
- Nutzt auch Sex, also oft den Mangel daran, um den Partner wegzustoßen (Buch: der ängstliche Partner will viel physische Nähe, nicht zwingend Sex, aber das stößt den anderen weiter weg. Der Ängstliche nutzt Sex als Gradmesser für Attraktivität und Nähe und wird so immer wieder enttäuscht)
Die Liste erhebt jetzt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ja ich bin ein Laie, der nur ein Buch gelesen hat. Aber was passt wie ein Arsch auf den Eimer, ist eben manchmal genau das: Ein Eimer.
Der ständige Eiertanz auf beiden Seiten, meine extremen Reaktionen, auch körperlicher Natur, vom Blutdruck zu Magenproblemen, Schlaflosigkeit, extremer Unruhe, kein Appetit, literally Schreien.
Warum? Ich bin das Gegenteil von ihm. Der ängstliche Typ braucht viel Nähe, was nicht immer physische Nähe sein muss, aber eine sichere Basis, auf die er sich verlassen kann. Das merkt der Mann und zieht sich zurück, was bei mir die Reflexantwort „Kampf“ auslöst. Nungut, erstmal ist Kampf halt mich melden, versuchen zu klären, beschweren, auf ein Treffen drängen. Genau das macht es dann für ihn noch schlimmer, er zieht sich weiter zurück, ich fange wieder von vorn an.
Jeder Moment von Nähe geht schnell in Distanz über, das typische Spiel einer solchen Beziehung.
Die Frage ist, was kann man da tun? Also, ich?
Andere Ratgeber sagen einem normalerweise, sich rar zu machen: Seine eigene Würde bewahren, sich nicht zu viel melden, ungerührt tun.
Damit benimmt man sich halt in einer Weise, sagt das Buch, in der man seine eigene Persönlichkeit und seine Gefühle nicht respektiert.
Und die Ratgeber haben Recht, sagt das Buch. Auf Autarkie machen – damit macht man sich attraktiver für eine bestimmte Art von Partner: Den vermeidenden Typ.
„Wofür die Ratgeber sich aussprechen, ist, dass man seine Bedürfnisse ignoriert und die andere Person den Grad an Nähe und Distanz bestimmen lässt. Der vermeidende Typ kann dann seinen Kuchen haben und ihn auch essen.“
Die vermeidende Person kann dann die Nähe und den Spaß genießen, wenn man zusammen ist, ohne den Rest der Zeit deine Bedürfnisse für Zweisamkeit und Nähe in Betracht ziehen zu müssen.
Witzig, das mit dem Kuchen habe ich dem Mann schonmal gesagt, denn er will alles, sich aber dafür nicht anstrengen. Ist ja auch klar, wenn man auf das Buch hört, er kann nicht anders. Und ich auch nicht.
„Indem du dich zu jemandem machst, der du nicht bist, gibst du jemand anderem das Recht, mit dir zu seinen/ihren Bedingungen zusammen zu sein und zu kommen und zu gehen, wie er/sie will.“
Das Problem ist, wenn das nur ein Schauspiel ist, wird man als ängstlicher Teil früher oder später mehr wollen: Mehr Quality Time zusammen, etc.(Oder Urlaub?)
Der vermeidende Typ merkt das sofort und kriegt kalte Füße und geht auf Distanz.
Und dann haut mich das Buch wieder komplett von den Socken. Nein, ich soll mich nicht schämen, weil ich gern Zweisamkeit will, weil ich eine gesunde Form von Abhängigkeit will und Nähe.
Ich müsse akzeptieren, dass das meine Bedürfnisse sind – sie sind nicht gut oder schlecht, nur halt meine Bedürfnisse. Mit jemandem, der das nicht will, wirst du nie wirklich glücklich sein, sagt das Buch.
Das Problem ist doch, der Mann sagt, er will das. Naja, nur nicht jetzt, nicht sofort, nicht so.
„Ausreden“, sagt meine Therapeutin. „Sobald sie zum Beispiel sagen würden, sie wollen jetzt Kinder, sucht der das Weite und hat tausend Gründe dagegen.“ Da könne er noch so oft sagen, es sei sein größter Wunsch, eine Familie zu haben.
Den Wunsch habe er wahrscheinlich auch, sagt die Therapeutin. Da gehen ein Wunsch und der Bindungsstil eben konträre Wege.
„Da kann schon ein starker Wunsch nach Nähe da sein, nur können sie ihn oft nicht umsetzen“, sagt sie.
Der vermeidende Partner unterdrückt quasi seine Wünsche nach Nähe, weil die Unabhängigkeit das Wichtigste ist, sagt das Buch.
Gegensätze und Anziehung
Die Studien sagen wohl, dass sich der ängstliche Typ meist zu dem vermeidenden Typ hingezogen fühlt und umgekehrt. Total blöd, oder?
Doch ergänzen sich diese Typen auch, denn sie bestärken sich gegenseitig in ihrem Bild von Beziehungen und sich selbst. Der eine sieht sich darin bestätigt, dass er unabhängig und stark ist und dass ihn andere immer in ein viel zu enges Korsett pressen wollen.
Der andere (ich) sieht sich darin bestätigt, dass ihn andere ablehnen und am Ende immer stehen lassen.
Schönes Muster, kann man sein Leben lang drin hängen bleiben.
Die emotionale Achterbahn tut ihr Übriges dazu: Meist bekommt man als ängstlicher Typ gemischte Signale vom anderen – zack, wieder ist man in der Tristesse gefangen.
Aber dann kommt das andere Signal – er (oder sie) ist doch interessiert, yea! Das Bindungssystem ist aktiviert und will nichts, außer dem anderen jetzt nahe sein. Doch das geht natürlich nicht, also nicht so, wie man es gern hätte. Und man sitzt wieder da, komplett am Ende.
In meinem Fall bin ich mir nicht sicher, ob ich am Anfang einfach keine Signale gesehen habe, oder ob sie nicht da waren. Ich habe in all den Jahren in Berlin nie jemanden getroffen, der mir so sicher erschien in seinen Signalen. Er meldete sich, rief jeden Tag an wenn ich nicht da war, etc. Endlich, ein sicherer Bindungstyp und wir mögen uns. Wie großartig….naja, nicht ganz.
„Du bist sehr sensibel für jedes Signal von Ablehnung“, sagt das Buch. Das Bindungssystem ist bei uns sehr schnell aktiviert und Boy, was ist es für eine furchtbare Scheiße, wenn es einmal läuft.
Angeblich gibt es Studien, die zeigen, dass andere Bereiche des Gehirns gleichzeitig heruntergeregelt werden und so fühlt es sich auch an. Single-Minded, du kannst nichts anderes mehr tun, dich auf nichts konzentrieren, alles dreht sich nur darum und gleichzeitig kannst du nichts machen.
Denn die Strategien, zu denen dich das Bindungssystem zwingen will und ja, der Zwang ist stark, sind alles, was einen vermeidenden Partner mehr in die Flucht schlägt.
„Du brauchst Nähe und Bestätigung – Sie schaffen Distanz, um ihr eigenes Bindungssystem zu deaktivieren.“
Und das Rad dreht sich weiter.
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