Intermezzo: Der Herpes-Zank 

Die gute Nachricht ist: ich hatte nie und habe keinen Herpes. Die schlechte Nachricht: Mein Vater ist gestorben.

Und nein, das ist kein Scherz und leider ist es null witzig. Herpes, das kann ich euch sagen, wäre mir sehr, sehr viel lieber. 

(Es geht übrigens um Lippen-Herpes – aber selbst die Geschlechtskrankheit, how bad could it be?)

Aber so ist das im Leben, mich hat keiner gefragt. Und ihn auch nicht. So it goes. 

Und hier an dieser Stelle geht es ja explizit nicht um Liebe, sondern um Dating. Absolut nicht das gleiche Paar Schuhe. Jimmy Choos und Aldiletten quasi.

Die wirklich wichtige und wirklich traurige Geschichte will und kann ich also hier nicht erzählen. Stattdessen kann ich eine etwas traurige und etwas witzige Geschichte anbieten. 

So fand ich mich vor einiger Zeit wieder, frisch getrennt, frisch verliebt in jemanden, der kein Interesse zu haben scheint – und um das Leben meines Vaters bangend. 

Und was macht man in einer Krise? Nicht unbedingt die besten Entscheidungen treffen. 

Meine Entscheidungen führten mich, nunja, zurück zum Narzissten. Nennen wir ihn, um es neutraler zu machen, den Filmkritiker. ER. 

ER, dem ich gesagt habe, dass er mich nicht respektiert und mich bitte nie wieder kontaktieren soll. Quod Erad Demonstrandum in Sachen Respekt: Er hat mich natürlich trotzdem kontaktiert. 

Schon irgendwann letztes Jahr, als ich eigentlich noch mit dem Mann zusammen war. Da habe ich ihm nicht geantwortet. Aber dieses Jahr? In der aktuellen Misere? Fuck yea.

Wir trafen uns ein paar Mal und nahmen die Sache da wieder auf, wo sie vor zwei Jahren geendet hatte: Im Bett.

Fürs Erste war das eine ordentliche Ablenkung und dann, naja, hatte er Lippen-Herpes. Ich verzichtete erstmal für ein Wochenende auf ein Treffen und dann, naja, dann waren andere Dinge wichtiger und ich fuhr für ein, zwei Wochen in meine Heimat. 

Nach der Beisetzung zog es mich allerdings schleunigst wieder nach Berlin, um dem ganzen Thema Tod zu entfliehen. 

Ich textete also dem Filmkritiker und fragte, wie es denn um die Lippenbläschen so stehe? Ich sei am Wochenende wieder da.

Nein, das sei noch nicht weg und was mir denn einfallen würde – das wäre ja sehr nett von mir. 

Ich – verwundert ob der Hartnäckigkeit dieses Problems (ich dachte immer, da kauft man eine Creme gegen und nach ein paar Tagen ist gut?) entschuldigte mich. 

Natürlich wolle ich ihn nicht wie ein Stück Fleisch behandeln und wir könnten uns ja auch nur so treffen, aber ich hätte es grad dringend nötig, bekuschelt zu werden. Tut mir also leid, das habe ich wirklich schlecht formuliert, sage ich ihm. 

Damit wiederum dachte ich, die Sache wäre erledigt und ich würde eben erstmal noch warten, bis ich ihn wieder treffe. Weit gefehlt, denn am nächsten Morgen erwartet mich einer seiner üblichen Ausbrüche.

Der Mann, der mal ausgerastet ist, weil ich nicht sofort auf seinen Rat zum Arzt gegangen bin – oder weil ich auf dem Weg zum Restaurant einen Umweg gelaufen bin – DER kam jetzt wieder zurück.

Ich, noch in meiner Heimat, machte gerade einen meiner morgendlichen Spaziergänge, um traurige Musik zu hören und zur Abwechslung an der frischen Luft zu weinen. 

Trauer does weird things to you, aber nungut.

So lief ich also weinend durch die Weltgeschichte, einen Tag vor der Beisetzung meines Vaters und da traf mich ein Schwall an Nachrichten wie eine Keule gegen den Kopf. 

Es gehe ihm jetzt richtig scheiße und dafür wolle er sich nur bei mir bedanken. Er fühle sich wie ein Aussätziger, weil ich so wenig einfühlsam reagiert habe. Man könne sich ja noch mit ihm treffen, aber weil ich so irrationale Ängste hätte, könnten wir uns erst in drei Wochen wiedersehen. Na vielen Dank auch. Ich hätte mich ja entschuldigt, aber warum sei ich nicht sofort einfühlsam gewesen. Er habe ja kein Ebola oder Covid….wenn man schon krank sei und auch wenn er nicht schlimm krank sei, wolle man sich besser fühlen statt schlechter…

Was ich jetzt daraus lese ist ein verletzter kleiner Junge, der eigentlich auch in den Arm genommen werden will und das nicht artikulieren kann. Und der außerdem nicht merkt, dass andere Leute vielleicht grad wichtigere Probleme haben und seine Befindlichkeit auch mal zurückgestellt werden muss. 

Alles Probleme, die mit Narzissten halt häufiger vorkommen. 

In dem Moment allerdings war es einfach trotz und durch diese komplette Lächerlichkeit – so richtig schmerzhaft. Wie ich erfahren musste, ist in dem Moment einfach alles extrem schmerzhaft – aber man kann es halt auch durch Dummheit noch schlimmer machen. 

Erstens – wenn meine ursprüngliche Nachricht wenig einfühlsam war – ich hab mich entschuldigt und das auch so gemeint. Allerdings, niemand will Lippenherpes, aber unter den Umständen brauchte ich ganz, ganz sicher nicht auch noch dieses Problem.

Zweitens – eine Woche, nachdem mein Vater an einer richtigen Krankheit auf wirklich unschöne Weise dahingeschieden ist, wagst du es, von deinen Lippenbläschen als Krankheit zu sprechen? Und MIR mangelnde Empathie vorzuwerfen? 

How fucking dare you? 

Ob du noch ganz frisch bist in der Birne, hab ich gefragt? 

Ich könnte jetzt vermuten, dass Herpesviren einem auch ins Hirn kriechen können – und das könnte ich googeln oder einen Arzt fragen, aber hey, der eine, den ich kannte, der ist grad gestorben.

Nein, das Problem des Filmkritikers heißt nach wie vor nicht Herpes, sondern Narzissmus. 

Und dagegen gibt es leider keine Creme. 

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