Trivialer Teufelskreis

Sind meine Prioritäten trivial? Möglicherweise. Doch ganz egal, wie trivial man die Urlaubsplanung findet – sind die zugrundeliegenden Themen doch wichtig: Distanz, Nähe und Kompromisse.

So früh wie mit mir hätte er überhaupt noch nie einen Urlaub in Erwägung gezogen, sagt der Boyfriend. Da mit Kalifornien, mit dem anderen Pärchen, da hätte ich halt sehr gut reingepasst. Nur passiere das ja am Ende eh nicht so.

Eh, ok – also ging es bei der Anfrage nicht um Urlaub mit mir per se. Ist angekommen. Und der Kalifornien-Urlaub zu zwei ist sowieso erstmal aufgeschoben. Nachdem ich am Montag wieder so getriggert gewesen sei, wolle er doch erstmal einen Kurztrip vorschlagen.

Ist ja nicht so, als hätte ich schon Listen gemacht für den Trip, von dem er wollte, dass ich schonmal was plane – oder meinen Chef gefragt, ob ich da grundsätzlich Urlaub nehmen könnte.

Ich bin erstmal ziemlich sauer, aber da beißt sich die Katze in den Schwanz. Weil ich so häufig sauer gewesen sei, habe er Angst, mit mir in Urlaub zu fahren, sagt er. Ok, das muss ich dann wohl akzeptieren. Kurztrip, it is.

Normalerweise würde er eh erstmal weiter schauen wie es läuft und mich dann zum Beispiel seinen Eltern vorstellen, sagt er. Bevor man in den Urlaub fahre.

Ich wiederum würde es genau andersrum machen, weil warum soll ich jemanden meiner Mutter vorstellen, wenn sich zwei Wochen später im Urlaub herausstellen könnte, dass man es keine Woche gemeinsam aushält?

Urlaub ist, abgesehen von all meinen Befindlichkeiten, eben auch eine Feuerprobe. Wer sich nach drei Tagen gegenseitig auf den Keks geht, sollte wohl keine Zukunft planen.

Auch deswegen hätte ich lieber früher als später mal einen Urlaub gemacht, um zu sehen, ob das überhaupt geht. Denn wenn es nicht geht, dann geht es nicht.

Der Boyfriend stimmt da nicht zu. Das Wichtige, das sei doch wie es hier funktioniere, zuhause.

Jaein – natürlich muss das auch funktionieren, aber wenn man sich zwei Mal die Woche sieht ist das was anderes, als ein, zwei Wochen am Stück. (Übrigens hat es zuhause ansonsten immer funktioniert, der Urlaub bzw. Hamburg waren eigentlich das einzige große Streitthema. Warum? Weil ich es so sehe, dass Zeit mit mir eben keine Prio ist bei ihm)

Ich weiß nicht genau, was für ihn die Konsequenz wäre, sollte ein gemeinsamer Urlaub nicht so prickelnd laufen. Fährt man dann getrennt? Selbst wenn, ist dann nicht klar, dass man nicht kompatibel ist? Dann wird man wohl langfristig gesehen kaum zusammen wohnen können, geschweige denn, eine Familie gründen.

Damit hatte mich der Boyfriend vor Kurzem ja geschockt: In ein, zwei Jahren wolle er Kinder haben, war die Ansage – was bei mir erstmal Panik auslöste.

Wenn nicht in ein, zwei Jahren, wann dann? Ich solle ihm mal ne Timeline dann geben, sagte er daraufhin.

Er habe mich ja nicht unter Druck gesetzt, hieß es später.

Ich wiederum setze ihn jetzt unter Druck, die Pistole auf die Brust, den High Heel aufs Genick, wenn ich sage: Wenn das der Zukunftsplan sein soll, möchte ich vorher mein Leben mit dir genießen. Mehr Zeit zu zweit verbringen und alle Urlaube.

Ich verlange wohl das absolute Commitment, sagt er. Das sei ja als würde er sagen, ich müsse erstmal einen Monat bei ihm zur Probe einziehen, weil wegen Kinder und Zukunft und so.

Mir ist hingegen nicht klar, wie man als Lebensziel eine Familie haben kann und Urlaub dagegen als krasses Commitment ansehen? Sorry aber Kinder sind immer noch das krasseste Commitment. Urlaube kann man als Lernerfahrung verbuchen, Beziehungen hinter sich lassen – bei Kindern ist das anders.

Verlange ich viel? Wahrscheinlich. Laste ich da einen Teil meiner Vergangenheit auf ihm ab? Ja.

Andererseits, was vergibt man sich? Urlaube können zusammenschweißen, oder sie können einen trennen. In jedem Fall ist man mit der Erfahrung dann weiter.

So wie das bisher gelaufen ist, fürchte ich Folgendes: Er fährt dann, wenn er halt grad Bock hat und wenn ich Bock habe? Na, passt grad nicht, fahr mal alleine. Mein Ansatz wäre immer zu sagen: Ok, warum hast du keinen Bock und können wir was finden, was wir beide wollen? Seiner ist: Nah, schon gut, ich fahr halt. Oder eben: Fahr du.

Am Ende sind meine Prioritäten aber eben auch nicht nur Sonne, Strand und ferne Länder. Wenn es hart auf hart kommt, würde ich immer sagen: gut, ich komm mit. Weil es meine Priorität wäre, die Zeit mit ihm zu verbringen. Aber das soll ich nicht, sagt er. Ich soll mich nicht verbiegen?

Da sind wir wieder auf der anderen Seite des Teufelskreises angelangt: Denn zu sagen, klar, dann fahr doch und ich verbringe meinen Urlaub alleine – das ist für mich das Verbiegen.

Will ich einen Reisebuddy statt eines Boyfriends? Nein, ich will einen Boyfriend, der mich für so etwas Essentielles wie Urlaub dabei haben will.

Das will er wohl auch, allerdings nur in Maßen.

Montag ging ich dann übrigens nach dem Erpressungsvorwurf. Blieb die ganze Nacht wach, rauchte eine Zigarette nach der anderen, schrieb noch die ein oder andere Nachricht. Enttäuscht und wütend über Kalifornien, tief getroffen darüber, dass wir eben andere Prioritäten haben.

Er antwortete am Dienstag noch, dann schrieb ich nachmittags: Klar, können wir den Kurztrip machen – am besten in der Woche X oder Y. Und verstehe ich dich richtig, was das Thema angeht ……und fasste ihm zusammen, was meine Quintessenz aus dem Gespräch war.

Die Nachricht las er nicht mehr, Mittwochabend kam ich spät nach Hause und war langsam unruhig: Ob alles ok wäre? Er hätte die Nachricht nicht mal gelesen?

Ja alles ok, schrieb er am Donnerstagmittag.

Was ist denn Phase, antwortete ich? Dieses Mal las er es und antwortete nicht. Spät abends schreibe ich nochmal, dass ich gern wüsste, was jetzt los sei – ist er im Stress, muss er nachdenken?

Freitag werde ich langsam immer unruhiger, die Woche über habe ich kaum geschlafen, immer nur geraucht und den Teufelskreis in meinem Kopf weiter gedreht. Ich bin ziemlich am Ende. Montag hatte er noch gesagt, es würde schon irgendwie alles gehen und wir könnten ja am Wochenende in Ruhe nochmal reden.

Freitagnachmittag antwortet er, ich hätte so viel Druck gemacht, ihm die Pistole auf die Brust gesetzt, er müsse jetzt erst einmal durchatmen. Wie es mir denn damit ginge jetzt?

Sehr beschissen, antworte ich. Ich kann überhaupt nicht damit umgehen, solche Dinge so im Raum stehen zu lassen und hatte gehofft, wir könnten am Wochenende echt nochmal reden? Das Schlimmste, was man mir antun kann, ist nichts mehr zu sagen. Ich halte das wirklich grad schlecht aus und bin komplett fertig. Ich hätte ihm schon seit Tagen gern angeboten, meine Urlaubsprioritäten fallen zu lassen, aber wie soll ich denn, wenn wir nicht sprechen?

Denn am Ende muss den Teufelskreis ja einer durchbrechen, indem er von seinem Standpunkt abrückt. Ich nehme aber an, dass er das nicht will und lieber Schluss machen wird.

Mit meinem Hilferuf – bitte, wann können wir sprechen – habe ich den Druck wahrscheinlich nur noch erhöht. Aber jeder der letzten vier Tage hat so unfassbar viel Kraft gekostet, ich bin körperlich und seelisch gerade an einem ziemlichen Tiefpunkt und weiß nicht weiter.

Wahrscheinlich wird er mir vorwerfen, dass ich ihm keinen Raum zum Atmen lasse. Ich wünschte wohl, ich könnte raus aus meiner Haut und nichts mehr dazu sagen.

Wahrscheinlich geht es ihm auch nicht gut? Aber wie soll ich das wissen, wenn er nichts dazu sagt. Geduld hat er nicht viel, sagt er selber.

Für mich waren die letzten vier Tage eine Ewigkeit und auch die heutige Nacht zieht sich wieder.

Wäre es nicht so sehr zum Heulen, würde ich sagen: Ich bin urlaubsreif.

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